Langlebig ist nicht unmodern

Nur kein Weltverbesserer sein. Ich fühle immer mehr, dass langlebig gut ist.

Ich liebe „langlebig“ immer mehr. Alte Dinge reinigen, pflegen, erhalten, wieder aufbauen. Gibt es eine Art Yoga, unmodern zu sein? Macht Kurzlebigkeit unglücklich? Jeder kann das für sich rausfinden, aber es lohnt sich. Denke ich.

Wegwerfgesellschaft gegen Seelenheil

In den Kleinanzeigen warten tausende alte Möbel, Teppiche und Utensilien auf ihre Käufer. Diese ungeliebten Güter wären langlebig. Sie sind so gebaut worden. Leider sind gerade diese schon lange nicht mehr erwünscht und vermodern in feuchten Kellern oder verstauben auf alten Dachböden. Könnten gerade diese Stücke uns zum Seelenheil werden?

Mein neues altes Kästchen

Ich stehe gerade in meiner Werkstatt vor so einem Findelkind. Eine kleine Kommode 120 × 70 und 40 cm tief mit zwei Türen und vier Fächern. Naturholz Nuss dunkel. Schlicht, unscheinbar aber solide. Die Fächer liegen alle am Boden, die Verschlüsse sind eingerissen und die Oberfläche zerfurcht und mit Wasserrändern übersäht. Ein scharfer Geruch von Medikamenten steigt einem in die Nase, wenn man die Türen öffnet. Ich vermute, dieses Kästchen diente mit unter als Medikamentenschrank. Lass uns dieses traurige Etwas näher betrachten. Das Holz ist Eiche. Schöne Arbeit. Die Beschläge aus Messing. Schlicht aber kompakt. Was ist mit den Fächern? Die Fächer liegen am Boden mit so eigenartigen, aus Hartholz gefertigten Stäbchen, die zackig geschnitten sind. Durch diese Zacken können die Fächer jederzeit anders platziert werden, ohne Verschraubungen zu lösen. Diese Zacken sind mit der Hand angefertigt worden, doch sie passen am Millimeter genau genau mit den Stäbchen zusammen. Welche Hände haben diese Zacken gefertigt? Der Lehrling und der Geselle? Wie viele Zacken hat er ausgeschnitten, bis er zum Meister wurde? Wann wurde dieses Stück das erste Mal verkauft? Wahrscheinlich hat man lange gespart, um sich so ein gutes Stück zu kaufen. Oder eine Gabe für einen Laib Brot?

Langlebigkeit als Familienkitt

Im Gedanken sehe ich den jungen Bub der gerade eine Ohrfeige bekommen hat, weil er mit seinem Spielzeug diesem Kästchen eine tiefe Kerbe eingeschlagen hat. Vielleicht kam der Tischlermeister persönlich mit einer Flasche Wein vorbei und kittete die Kerbe in 10 Minuten. Dann strich er frisches Leinöl darüber. Der kräftige Tischler klopfte dem Jungen auf die Schulter und sprach: „Du musst halt das nächste Mal ein bisschen besser aufpassen.“ Dann trank er sein Gläschen Wein aus und ging fröhlich heim. Der Vater war zufrieden und strich seinen Buben über die Haare. Der Geruch von frischem Leinöl und Holzpolitur verlieh dem Abend eine besondere Note.

Atmen, streichen, langlebig sein und lange leben

Ich fange an die Fächer rauszunehmen. Ich bin kein ein Tischler, aber habe gelernt den Moment zu genießen. Nachdem ich alle Flächen gesäubert hatte, tunkte ich ein Tuch in Leinöl und trug es vorsichtig in der Lenksrichtung der Maserung des Holzes auf. Das Holz nahm das Öl dankbar auf und auch ich konnte den angenehmen Geruch wahrnehmen. Ich merkte, wie mein Herzschlag ruhiger wurde und ich eine seltene Ruhe spürte. Ich glaube, mein Geist versucht gerade meinen Körper langlebig zu heilen.

Nun wechselte ich eine Leiste aus, denn die Türe wollte nicht mehr schließen. Der Mechanismus war noch intakt, das Schloss war in einem guten Zustand. Während ich das Schloss wieder einbaute, überlegte ich schon, wo ich dieses bereits lieb gewonnene Möbelstück denn hinstellen würde. Auf jeden Fall ein Platz, wo es wohl gewürdigt wird. Vielleicht ist dieses Kästchen 80 Jahre alt?

Wie viele Tonnen billige Möbelstücke wurden in dieser Zeit weg geworfen?  Dieses Möbelstück hatte Glück. Es steht nun bereit. Im zukünftigen Zigarrenraum in meiner alten Volksschule, wird es einen Platz finden. Alte Pfeifen wird es beherbergen, Schnupftabak, Weihrauch und Gewürze, Räucherwerk und Teelichter. Bald riecht es nicht mehr nach Apothekerschrank, sondern nach Tabak.

Dieses Möbelstück, einst gebracht, dann verdammt, dann wiedergefunden, wird mir noch viele Geschichten erzählen, die ich gerne für Sie niederschreiben werde.

langlebig ist nicht unmodern
langlebig ist nicht unmodern – sammlunghirschfeld

Besuch vom Denkmalschutz

Heute waren die Herrschaften vom Denkmalschutz, besser gesagt Denkmalamt Burgenland in Gaas bei mir, in der alten Volksschule zu Besuch. Die passen wirklich auf. Spätestens jetzt weiß ich, warum so viele Teile Österreichs so schön geblieben sind. Hier geht es nicht nur darum, dass ein altes Gebäude nicht abgerissen werden darf, sondern es sollte originalgetreu erhalten, also auch restauriert werden.

Denkmalpflege der alten Volksschule in Gaas

Wenn dann ordentlich ist das Motto. Fangen wir bei der Fassade an. Kalkspritzer, Kalkputz, alle Fassetten wieder nachbilden und nichts wegnehmen was gesund und original ist. Die Fenster und Türen sollten einheitlich mit Leinölfarbe gestrichen werden. Fliesen und Böden sollten erhalten bleiben. Zum Glück sind alle alten Holzdielen vorhanden. Diese werden händisch geschliffen und mit Leinölfirnis und etwas Naturwachs geölt. Wände gehören nur ausgebessert, wo wirklich notwendig und dann mit Kalkfarbe und Malerbürste gestrichen. Und so ging es weiter.

Denkmalschutz: Wehren oder aus der Not eine Tugend machen

Ich kam heim und googelte und lernte. Leinölfarbe ist quasi unverwüstlich und enthält kaum Chemie. Kalkputz atmet und desinfiziert. Kalk entfernt Gerüche und ist antibaktieriell. Alles ist diffussionsoffen. 200 Doppelfensterflügel halten warm und dicht, aber nichts schimmelt. Kein Plastik in der Bausubstanz, kein dampfender dichter Kasten. Alles recyclebare Materialien aus natürlichen Rohstoffen, demnach „Back to the roots“ im Bau. Gesund wohnen und arbeiten so wie vor 100 Jahren. Und das ohne Kohleheizung und eisige Räume. Natürlich sind die Wände nicht ganz plan, dafür kann sie ein Kind immer wieder überstreichen. Ich bin überzeugt und bekehrt.

Besichtigung des Denkmalschutzes Burgenland