Der unattraktive Maler

Eine philosophische Geschichte zu Bild Nr. 1035 aus der sammlunghirschfeld

Das Gemälde ist etwa vor etwa 70 Jahren geschaffen worden. Es zeigt einen beige braunen verwaschenen Hintergrund und relativ scharf und klar im Vordergrund eine Dame mittleren Alters. Sie hat ein schmutzgelbes ordentliches Kleid an. Sie trägt Ihr Haar, dieses eher mittelkurz und wellig. Eine goldene Kette mit einem Amulett rundet die Korrektheit ab, die rechte Hand in den Schoß gelegt, die Linke hinten abgestützt. Die Figur geradlinig aber eher ausladend. Ihr Blick wirkt verantwortungsvoll bis besorgt, die Augen leicht schräg, etwas müde. Ihr Mund verschlossen schmal, unbeweglich, als hätte man ihr gesagt dass sie während des Malens nicht reden soll. Sie ist auch nicht in Stimmung jetzt zu sprechen. Jetzt wird sie ja gemalt. Wie das halt so ist. Oder war.

Ihre Augen sprechen verschiedene Sprachen. Zum einen die eigen auferlegten gebührlichen Verpflichtungen des Lebens zum Anderen eine gewisse Stille, ein Innehalten, und seltener Weise eine versteckte, geheime Entzückung.

Ich stehe im Lager eines Trödlers und erwäge das Gemälde zu kaufen. Es gefällt mir.

Unbemerkt schleichen sich ein Mann und eine Frau viel zu nahe an meine rechte Seite heran und beginnen laut das besagte Bild zu kommentieren. Die Auktion hat noch nicht begonnen und die Suchenden beäugen und belästigen penetrant die geduldigen Kunstwerke mit lauten emotionalen Ergüssen.

„Oh das ist ja die böse Schwiegermutter, wie ich gehört habe„: vernehme ich. „ ja ganz bestimmt“. „Das sieht man sofort dieses ausladende Kleid und der Schmuck – erbgeschlichen…“. Meine Ohren beginnen zu dröhnen. „Genau, durch und durch böse“ „und dann noch der düstere Hintergrund des Todes in diesem Raum, wo sie gemalt wurde“. Mein Gesicht fühlte sich so starr an wie nach einer Gletscherwanderung bei Sturm im Februar. Ich bewege mich keinen Millimeter um meinen Nachbarn zu beweisen dass ich das Gespräch keinesfalls gehört habe oder zumindest keine Reaktion zeige.

Ein kleines Mädchen ging an dem Bild vorbei blieb kurz stehen und sagte: „not nice grandma“ und geht gleich weiter zu den bunten Bildern mit den rinnenden Farbklecksen.

Ich befand mich in einem Zustand eines beklemmenden Synchronisierungszwanges.

Aussagen wie der „Maler hat sicher mit zittrigen Händen gemalt“ oder „wie konnte so Eine Kinder empfangen?“ zerrten an dem stacheligen Halsband, welches mir diese fremden Monster rein akustisch unfreiwillig aufzwangen.

Nein, Ich gehe nicht mit Euch. Nicht mit den Meinungen der Masse und der Mehrheit. Die ganze Zeit wurde ich am Halsband in diese unverfrorene Richtung gezerrt.  Ich muss mich befreien. Ich ersticke. Für mein Dafürhalten war die einzige Möglichkeit der Höchstbieter zu sein und das Bild zu kaufen, um dieses Halsband abzustreifen und damit meine Peiniger. Die Dame gehört rehabilitiert. Zweifellos. Die kann nicht so böse gewesen sein.

Ich erwarb das Bild, nicht nur um mich zu befreien sondern auch mein Gemälde aus dieser Situation zu reißen. „Vielleicht bist Du Dein ganzes Leben verkannt worden, wie eben des Öfteren. Wie kannst du noch länger auf einer Wand in einem Raum hängen, welcher voller Argwohn, Schadenfreude, Selbstgerechtigkeit und Oberflächlichkeit bereits aus allen Poren stinkt?“, denke ich als würde ich mit dem Bild sprechen.

„Du hattest wahrscheinlich noch nie eine schöne Bleibe. Du hattest freilich ein gutes Leben aber keine Bleibe für Deine Bilderseele. Die Nachkommen haben Dich wahrscheinlich nach Deinem Ableben Deiner unverstandenen Protagonistin auf den Dachboden verbannt.“, behauptete ich.

„So wie Dein Bild bis heute verkannt wird. So wurdest Du wahrscheinlich zu Lebzeiten verkannt. Das gleiche Schicksal vorausgeeilt. Vielleicht warst Du gar nicht so hart. Also innerlich. Wie konntest Du Deine Güte, Aufmerksamkeit, Humor und Ausgelassenheit anderen angedeihen lassen in einem so harten Leben mit so viel Verantwortung in Wirtschaftskrisen, Krieg und Völkerwahn. Niemand wollte damals Deine Unsicherheit nicht in Stärke umwandeln. Man hat Dich beurteilt und abgestempelt. Als Frau und als Gemälde bis zum heutigen Tag.“

Zu Hause entstaubte das Gemälde behutsam und stellte es auf eine kleine Vitrine um es näher betrachten zu können. Ich trete vor, ich beuge mich zurück, ich sehe Ihr geradewegs in die Augen aber ich kann beim besten Willen keine Bosheit erkennen. Eher Unsicherheit und gleichzeitig Verwunderung. Noch viel mehr, ein ich sehe ein Erstaunen, als würde Sie in diesem Moment denken: „Hilfe, Was ist mit mir plötzlich los?“. Nun mal langsam, da ist ja ein Hauch von Verzückung? Ein Glücksmoment, flüchtig, versteckt aber vorhanden. Klar. Der Maler malte einen versteckten Glücksmoment. Ein zaghaftes Wohlbefinden, welches aus Ihrem Schoß aufsteigt und Ihre Wangen erröten lässt. Deshalb die Hände so verkrampft. So kann man ja nicht sitzen, außer es geht gerade etwas äußerst Ungewöhnliches vor.

Der Maler hat das alles gesehen. Alles. Er war unvoreingenommen. Nur ganz spezielle Menschen sehen alles. Er hat es eingefangen mit ruhigen überlegenen Pinselstrichen. Ein Stück Verlegenheit, beinahe Verwegenheit. Es scheint, als ob der Künstler bei jedem Pinselstrich jeden Ihrer Körperteile berührt hätte und sie alle Mühe aufgebracht hast nicht vor Herzklopfen zu bersten.

Ich sprach zu dem Bild: „Der Maler sah Dich an und dann wieder auf sein Werk und führe die sanftesten Bewegungen durch, die Du je gesehen hast. Dann dreht er nicht nur seinen Kopf sondern sein ganzer Körper zu Dir, musterte Dich tiefgründig und stark. Dann wieder diese Pinselstriche, schnell wendet er sich wieder Dir zu. Und wieder. Jeden Zentimeter Deines Antlitzes und Körpers studiert er genau. Jeder seiner Blicke war eine Berührung Deiner Sinne und Deiner Seele. Desto länger er malt desto intensiver wurde diese stille Übereinkunft der unvoreingenommenen Interesse an Deinem gesamten Wesen. Desto länger er Dich ansah, desto verfänglicher wurde seine alles durchdringende Aufmerksamkeit. Er bekam nicht nur Deinen Körper er bekam Deine Seele. Du warst zu Allem bereit.

Dieser zugegeben nicht sehr attraktive Maler war einer der Wenigen, eigentlich war er leider der einzige Mensch in Deinem harten Leben, der Dich so gesehen hat. Einfach lediglich erschreckend einfach aufgrund seiner unendlichen Liebe zu seiner Kunst, seiner ehrlichen Interesse, seiner Verrücktheit aber was das Wesentliche ist, seine Unvoreingenommenheit. Er hat Dich gemalt, wie Du wirklich bist. Aber so dass es niemand erkennt außer jemand der so unvoreingenommen ist, wie er.

Genau das hat Du gespürt und Du hast es kaum ertragen. Du hast etwas Neues gefühlt. Abseits vom Kinderkriegen, Arbeiten, und Verantwortung tragen. Entfernt Deiner Rolle. Abseits der Oberflächlichkeit der Gesellschaft. Du atmest auf. Du lehnst Dich zurück und er fängt Dich auf. Dieser unattraktive Maler nimmt Dich so wie Du bist und das gänzlich und schonungslos. Der Mann liebte Dich ohne Dich zu berühren. Er sah plötzlich nur Dich. Seine Hand sah alle Deine tiefsten Winkel. Sein Auge hinterfragte nicht mehr. Seine Arbeit zerriss alle Klischees. Er sah Dinge in Dir, die noch niemand gesehen hat. Er malte, wie er noch nie gemalt hatte.“

Ich war der Höchstbieter und habe kein Bild gekauft. Ich habe einen Schatz erworben. Ein Geheimnis. Nach unvoreingenommener Betrachtung hat sie mir ihr Geheimnis offenbart. Das war ihr Geschenk an mich.

Der unattraktive Maler und ich genießen für immer Ihre Dankbarkeit.

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