Der Bub und unsere Wahrnehmungen

Eine philosophische Geschichte zu Bild Nr. 1064 aus der sammlunghirschfeld

Dieses Bild mit den Maßen 53 cm mal 52 cm zeigt die Büste eines Buben. Die Farben blass, beige, weiß, hellbraun, korrekt reduziert. Die Haare blond, schön gekämmt, ordentlich. Das weiße Hemd zugeknöpft. Die Augen grün oder grau oder blau? Der Blick nicht ernst, nicht heiter, gut erzogen aber ein Hauch von schelmischer Bubenhaftigkeit, welche aber nicht restlos freigelassen wird. Der Blick bietet sich selbstbewusst aber nicht überheblich. Vielleicht sogar etwas ernsthaft. Zu ernsthaft, als ob er schon Entscheidungen treffen musste, welche normaler Weise Erwachsenen vorbehalten sind.

Warum gibt uns der Blick dieses äußerst feschen Jungen Rätsel auf? Warum taucht er uns in verschiedene Welten?

Ist dieses Portrait aus der subjektiven Sicht des Malers entstanden oder deuten wir es dermaßen aus unserer eigenen subjektiven Sicht? Ich irre doch nicht, wenn ich behaupte, das Maler hatte einen gewissen Respekt vor dem allzu früh gereiften Charakter dieses vielleicht acht oder neun Jahre alten Jungen. Denn ein Maler malt nicht nur das was er sieht sondern das was er spürt.

Wenn Sie die Gesichtshälften jeweils abdecken, werden Sie zwei verschiedene Ausdrucksweisen bemerken. Bitte verzeihen Sie, dass ich hier meine persönliche Wahrnehmung wiedergebe. Aber was soll ich sonst wiedergeben, als meine persönliche, nicht unbeeinflusste, naive und laienhafte Wahrnehmung. Das ist, als ob ich Ihnen eine Gewitterstimmung beschreibe. Wie soll das funktionieren? Werden Sie sich das so vorstellen, wie ich ich es beschrieben habe? Können Sie sich das nach meiner Schilderung so vorstellen, wie es wirklich war? Wird das Bild realistischer, wenn es zwanzig Menschen beschreiben oder erhalten Sie zwanzig verschiedene Gewitterstimmungen? Wenn ich von einer roten Rose spreche, ist es das wirklich Rot, was Sie sehen? Sehen alle Menschen das selbe Rot? Wie können wir vergleichen, wie wir als Individuum Farben wahrnehmen? Mein Rot ist also nicht Ihr Rot. Meine Wahrnehmung von Sommerregen ist nicht Ihre Wahrnehmung. Mein Wahrnehmung von Gerüchen, Wärme, Kälte, Geräuschen, Musik, Schmerz, Humor, das Bellen eines Hundes, das Weinen eines Kindes, der Geruch eines Bettlers ist nicht Ihre Wahrnehmung. Wir schlichten unsere Wahrnehmungen in ganz grobe Boxen, wie etwa: groß, klein, dumm, Intelligent, wichtig, belanglos und kleiden es in Worte, skalieren und vermischen alles mit unseren Vorurteilen, Erfahrungen und unserem einzigartigen Empfindungsvermögen.

Welche Behauptungen des Menschen sind dann überhaupt ernst zu nehmen? Wer hat schon einen anderen Menschen gänzlich verstanden? Wir sehen, verstehen und deuten lediglich nach unserem eigenen eingelernten Empfindungsvermögen und legen dann tausend Filter und Schleier darüber, tauchen alles in unser Licht und glauben alles verstanden zu haben. Dabei sehen wir nur das, was unser Geist uns übersetzt, darlegt oder vorlügt. Erst unser Geist bestimmt, was wir sehen und wie wir ein Bild, ein Geräusch oder einen Geruch deuten dürfen. Dann erst entsteht UNSER Bild, welches sich freilich von der Wahrnehmung des Anderen unterscheidet. Wenn sich dann die Wahrnehmungen von zwei Menschen nur ein Prozent überlappen, sprechen wir bereits von einer Seelenverwandtschaft. Wundern Sie sich also nicht, wenn Sie nicht glauben, was man Ihnen erzählt. Akzeptieren Sie es, wenn Sie die Behauptungen, Schlussfolgerungen, Lebensansichten, Weisheiten, Anschuldigen, Lobeshymnen, Liebeserklärungen oder Verachtung anderer Menschen nicht nachvollziehen können. Seien Sie stolz auf Ihre Empfindungen, Deutungen und Wahrnehmungen. Lachen Sie über die Narzissten und Selbstdarsteller, die Ihnen ihre Wahrheit einreden möchten. Ihre Wahrnehmung gehört nur Ihnen, auch wenn Sie wahrnehmen, dass der Himmel nicht blau ist. Übrigens der Himmel ist wahrscheinlich nicht blau, sie haben sogar recht. Die Menschen in der Vorzeit hatten keine Vorstellung von der Farbe Blau. Es gab keine Worte, um dies zu beschreiben. Bei Homers Odyssee, wird das Meer als „weinrotes Meer“ beschrieben.

So bitte ich Sie um Nachsicht, was meine Äußerungen zu diesem Bild betreffen. Ich kenne die Geschichte des Buben. Zumindest zum Teil. Meine Empfindung bei der Betrachtung dieses Gemäldes ist bereits stark beeinflusst. Ich mische bereits das, was ich sehe mit meinen Erfahrungen, Empfindungen und Deutungen. Das sind aber nicht Ihre Empfindungen. Nun erlauben Sie mir das Rätsel aufzulösen.

Der Bub auf dem Bild ist Dr. Prof. Hauswirt zu sehen, der in Deutschland geboren wurde und in Innsbruck studierte. Er erlitt in jungen Jahren einen Krebs an der Schilddrüse, welche mehrmals bestrahlt wurde. Damals wusste man noch nicht um die Folgen einer Bestrahlung und der Bub überlebte zwar den Krebs, musste aber sein Leben lang mit einem sogenannten Panzerherz kämpfen. Er lebte dennoch bis über 60 Jahre.

Nr 1064 Bub von Pischke 53 x 42 sammlunghirschfeld
Nr 1064 Bub von Pischke 53 x 42 sammlunghirschfeld